Loetzinn

      Liebe Freunde,

      es ist hier schon einige Male besprochen worden -- was ist gutes und
      empfehlenswertes Loetzinn ? Fluitin fand ich immer gut, aber so ganz leicht
      ist das nicht mehr zu bekommen. Halbwegs OK scheint das von Felder zu
      sein. Was kann sonst empfohlen werden ?

      Zu den "neuen" Typen haette ich noch eine Frage: Sie bestehen doch weitgehend
      aus Zinn (mehr als 95 %). Reicht der kleine Rest, der beigemischt ist, eigentlich aus,
      um das Problem mit der Zinnpest zu vermeiden ? Ich finde ja, dass viele neue
      Loetstellen schon anaemisch aussehen ... aber hat jemand Erfahrung, was mit diesen
      Loetstellen passiert, wenn sie mal eine Weile wirklich kalt standen ?

      Waere fuer Hinweise dankbar.

      Besten Gruss,

      Michael
      Hallo Dieter und Mitleser,

      die Zinnpest ist etwas Anderes als die "Zinkpest". Bei der Zinkpest (siehe bei Zinkdruckgussteilen) wird das Material durch Legierungszuschläge in einer lokalen chemischen Reaktion durch Korrosion zerstört. Die ZINN-Pest ist etwas anderes...

      Vom Zinn gibt es zwei grundlegende Kristallstrukturen, das Alpha- und Beta-Zinn
      Das uns meist bekannte Zinn (schön glänzend) ist sog. Beta-Zinn, das über Raumtemperatur bis zum Schmelzpunkt vorliegt. Etwas unterhalb von Raumtemperatur wandelt sich das Zinn sehr langsam in die Alpha-Kristallstruktur um. Diese ist eher weißlich matt und sehr spröde. Besonders Orgelbauer fürchten die Zinnpest, denn die Pfeifen sind aus fast reinem Zinn hergestellt, welches unterhalb des Gefrierpunktes sehr anfällig für die Umwandlung in Alpha-Zinn ist.
      Der Prozess äußert sich in Aufblühungen, und da das Alpha-Zinn ein größeres Volumen einnimmt, letztendlich in Aufplatzen der Oberfläche.

      Bei Lötzinn werden zur Erreichung eines tiefen Schmelzpunktes und besseren Flusses sowieso einige Zuschläge mit eingemischt, u.a. auch Antimon. Dieses hat sehr positive Einflüsse auf das Lötzinn. Erstens wirkt es einer Schrumpfung bei Abkühlung entgegen und dann verlangsamt es die Bildung von Alpha Zinn auch bei niedrigen Temperaturen deutlich.

      Generell sollten sowohl bleihaltige als auch bleifreie Lötzinnsorten in einem überschaubaren Zeitraum (so in den nächsten 100-200 Jahren bei Temperaturen über -20°C) einer Zinnpest nicht in nennenswertem Umfang unterliegen.

      Die bleifreien Lote habe da andere Probleme. Größere Schrumpfung bei Abkühlung, schlechteres Flußverhalten etc. Aber ordentlich verlötet sind auch bleifreie Lote durchaus zu gebrauchen. Man muß sich nur etwas umgewöhnen. (Habe ich bisher auch nicht, ich habe noch einen guten Vorrat am guten alten "Stoff")...
      Gruß, Gunnar
      Hi Dieter,

      reines Zinn existiert in zwei verschiedenen Kristallgitterformen, Umwandlung
      bei ca. 14 Grad Celsius (und SEHR langsam). Die Form unterhalb von 14 Grad ist
      broeselig und zerfaellt -- bei wirklich tiefen Temperaturen geht das bei reinem
      Zinn u.U. dann aber recht schnell. Napoleon hatte in seinem Russlandfeldzug
      ein Problem damit -- die Zinknoepfe der Uniformen machten schlapp (findet
      man unter dem Stichwort "Zinnpest" in der Wikipedia ...).

      Natuerlich haben Legierungen voellig andere Eigenschaften, und beim klassischen
      Lot (60/40) bei guter Qualitaet der Mischung ist das Problem wohl im Wesentlichen
      nicht vorhanden (obwohl ich wenig dazu gefunden habe). Meine Frage bezog sich
      nun darauf, ob bei dem bleifreien Lot, wo nur noch ca. 5 % andere Metalle drin
      sind, die Zinnpest legierungsbedingt sicher vermieden wird, wenn die Loetungen
      laenger sehr kalt sind ... und auch dazu konnte ich bisher nichts finden.

      Besten Gruss,

      Michael

      p.s.: Orgelpfeifen haben das Problem, wenn sie aus Zinn sind (in kalten Kirchen
      etwa), aber angeblich auch noch bei Zinn-Bleilegierungen, nur halt dann weniger.

      p.p.s.: Meine Loetungen aus den Siebzigern sind auch noch fit, wurden damals aber
      meist (fast immer) mit Fluitin gemacht, und das ist einfach ein gutes Loetzinn, mit
      guter Metallqualitaet und Flussmittelseele.
      Hi Gunnar,

      ah ja, Antimon, das hatte ich gelesen, dass dies der Zinnpest entgegenwirkt.
      Ist das im neuen bleifreien Lot wirklich drin ?

      Ich hatte bisher einmal ein Geraet (ein Verstaerker) mit SEHR seltsamen Loetstellen,
      die fuer mich perfekt wie Zinnpest aussahen. Es hatte laengere Zeit eher feucht und
      vor allem SEHR kalt gestanden (regelmaessig unter 0 Grad). Teilweise Entfernung
      und komplette Nachloetung beseitigte das Problem dann, ist auch nicht wieder
      aufgetreten.

      Mit den neuen Loten habe ich bisher weniger Erfahrungen gemacht. Es gibt aber
      grosse Unterschiede, die man schon bei der Verarbeitung merkt. Wenn Du meinst,
      das sei auch dort kein Problem, bin ich beruhigt. Mir war halt nicht klar, ob dieses
      Problem nicht zu den anderen bekannten noch hinzukommt.

      Besten Gruss,

      Michael
      Hallo die Runde,

      ich habe früher immer gelesen, dass Zinn gerade dann, wenn es über längere Zeit erhöhten Temperaturen ausgesetzt wird, Schaden nimmt.

      Dabei wurden als Beispiel Zinnteller genannt, die an der Wand oberhalb des Kamins aufgehängt werden und durch die Wärme nach vielen Jahren so geschädigt und spröde sind, dass sie beim Verbiegen unter Abgabe von Geräuschen (Zinnkreischen) zerbrechen.

      DAS war für mich immer die Erklärung, warum die Lötstellen in elektronischen Geräten, wo stellenweise höhere Temperaturen herrschen, nach Jahren völlig zerstört sind.
      Achim
      Vielleicht sollte man auch die Löttechnik des Bastlers und die Temperatur des Kolbens mit einbeziehen.

      Ich verwende eine Regelstation, wo ich den Kolben immer so zwischen 350° und 400° aufheize, je nach Art der Lötstelle. Für Platinenarbeiten verwende ich einen ERSA 15, der hat die feinere und bessere Spitze.

      Ab und zu gebrauche ich für Masselötungen eine Lötpistole, die natürlich so eine stark wärmeableitende Verbindung gut aufheizen kann.
      Überkommt mich die Faulheit und ich löte mit dem Gerät weiter, passiert es schon mal, dass eine Lötstelle zu heiß wird - das Zinn wird matt und spröde und sieht einfach sch... aus. Das ärgert dann immer und dies sind Lötstellen, denen ich nicht über den Weg traue.

      Gruß, Dieter
      Auch in den "modernen" bleifreien Loten sollte noch immer etwas Antimon enthalten sein, unter einer gewissen Grenze muß es nicht deklariert werden. Aber selbst ein Lot der Art Sn99Cu1 wird in der Kristallgitterstruktur durch die 1% Kupfer schon soweit gestört, daß die Reaktionsgeschwindigkeit der Umkristallisation deutlich herabgesetzt wird.
      Bei allen exo- oder endothermen Reaktionen oder sonstigen temperaturabhängigen Prozessen gibt es eine alte Chemiker-Fausregel für Reaktionen die im Normaltemperaturbereich (so zw. -50 und + 200 °C) stattfinden: Erhöhung der Temperatur um 10° führt ca. zur Verdoppelung der Reaktionsgeschwindigkeit. Also eine in Etwa eine logarithmische Abhängigkeit. Das stimmt hier und da nur bedingt, aber auf diesen Fall ist es recht gut anwendbar.
      Wenn wir uns im Bereich von bis minus 20° C bewegen ist die Umkristallisation schon beschleunigt, aber nur halb so schnell wie bei -40°, am Schnellsten sollte sie bei ca. -50° ablaufen.
      Aber machen wir mal ein Fallbeispiel auf: In einer Kirchenorgel sind Pfeifen aus sehr reinem Zinn oder einer Zinn / Blei Legierung verbaut (damit sie auch schön glänzen). Besonders das reine Zinn ist ziemlich anfällig für die Zinnpest. Man kann davon ausgehen, daß es in der Kirche in jedem Winter etliche Male sehr, sehr kalt geworden ist, früher wurde nur zu den Messen das Nötigste geheizt, wenn überhaupt. Dann unterliegen die Pfeifen auch noch mechanischen Belastungen durch die Schwingungen. Trotzdem leben metallene Orgelpfeifen deutlich länger als die Holzpfeifen, diese müssen oft schon nach 50 Jahren komplett ersetzt werden (Schimmel etc.) Metallpfeifen können durchaus 100 bis 200 Jahre (und noch länger) im Einsatz bleiben.
      Die so oft zitierten zerfallenen Zinnknöpfe der Uniformen französischer Soldaten sollte man getrost ins Reich der Legende verschieben. Wenn es da Probleme gegeben haben sollte, denke ich da eher an mangelhafte Legierungen und Fertigung. Bei Einwirkung der Zinnpest hätten die Soldaten da wahrscheinlich eher 20 Jahre herumirren müssen.

      Doch zurück zum Lötzinn. Die größten Probleme bei der Verarbeitung des bleifreien Lotes ist die andere Schmelztemperatur und auch das andere Schmelzverhalten.
      Viele uns bekannte Lote schmelzen als eutektische Legierung auf. Wenn ein Lot aufschmilzt, gibt es zuerst einen Solidus-Punkt, ds Lot wird verformbar, etwa wie Butter. Dann folgt mit Temperaturerhöhung die Liquidus-Phase, es wird richtig flüssig. Beim eutektisches Lot liegen die Punkte zusammen, was das Löten sehr vereinfacht. Es wird einfach flüssig, das Flußmittel hat seinen Dienst an den Oberflächen getan, und das Lot erstarrt auch wieder am eutektischen Punkt. Das ist z.B. bei einem Sn60PbCu2 (eines der beliebtesten Lote) so.
      Das versucht man auch bei den bleifreien Loten zu erreichen, aber einige haben deutlich abweichende Eigenschaften. Das macht das Löten schwieriger, auch mit Lötmaschinen. Darauf muß man sich erstmal einstellen. Allein die höhere Löttemperatur vieler Lote macht dem Löter zu schaffen. Hier muß man die Traute haben, einfach kräftiger zu heizen, sonst gibt es "kalte" Lötstellen.
      Und zusätzlich bei nicht-eutektischen Loten: Nicht zu heizen aufhören, wenn es "breiig" wird, dann gibt es keine stabile Lötung. Man muß weiter heizen, bis es richtig fließt. So kommen sehr schnell defekte Lötstellen zustande. Zudem kommt noch dazu, daß viele bleifreie Lote einen deutlich höheren Schwund beim Erstarren haben, d.H. die Lötstelle fällt deutlich ineinander. Das ist nicht schlimm, sieht aber nicht so schön aus.
      Gruß, Gunnar
      Hallo die Runde.

      Auch das Löten hat seine Regeln.
      Galt zu meiner Zeit noch: " Alles betet, wenn Vatern lötet“
      Ist das doch nicht so einfach.

      Ich möchte hier einmal unseren Chemie Freund Gunnar (nicht dem mit einem n) danken.

      Habe ich doch lange Zeit mit Löten by hand und den Ansprüchen der Zinn -Bäder an die Leiterplatten verbracht.

      Ein Wunsch noch, was Achim schon fragte: was passiert mit den warmen/ heissen Lötstellen eigentlich? Dann haben wir noch der Vorgang, hoher Strom in der Lötstelle. z.B. die Lötung der Ladeelkos wird porös usw.

      Gruss hans
      deltamike55 postete
      Ich habe in den 60er und 70er Jahren diverse Elektor Verstärker und andere Sachen gebastelt - die Lötstellen sehen heute noch so aus wie früher.


      Das entspricht so in etwa meinen Erfahrungen, Dieter.
      Wobei der Umfang der Lötstellen bei mir das gewöhnliche Bastlermaß überschritt.

      Zu Zeiten meines Militärdienstes nutzte ich die nutzlos in Wachbuden als Wachhabender/UVD/UVWA/KVD versessene Zeit gerne dafür zwischen eventuell nötigen Einsätzen und Kontrollen in größeren Mengen Bausätze/Baugruppen für Elektronik-Versandhäuser zusammen zu löten. Neben sinnvoller Beschäftigung brachte das ein kleines Zubrot zum kargen Wehrsold.

      Die Lötstellen bei mir noch heute vorhandener Baugruppen von damals sind noch einwandfrei in Ordnung, glänzend und kraftschlüssig.
      Was vielleicht auch nicht ganz nebensächlich ist, ich stellte schon damals generell mechanische Belastbarkeit durch Umlegen der Bedrahtung vor dem Anlöten sicher. Die Bauteile zerren so viel weniger an der Lötstelle. Die U-Elektronik-Industrie hingegen schoß die Bauteile mit dem Bestückungs-Automaten ein und ließ die Platten im Tauchverfahren durch die Galvanik laufen, was nicht unbedingt für festere Lötstellen sorgte.
      Speziell die mit Hochspannung und Hochfrequenz belasteten Lötungen im Impulsteil von Fernsehern haben so nach Jahr und Tag oft nur noch stabil ausgesehen aber nicht mehr gut geleitet und auch kaum mehr Haltekräfte aufgebracht. Bei Reparaturen wurde dann wieder mechanisch nachgeholfen mit Umlegen der Bedrahtung nach Entfernung des alten Lots und neuem Festlöten.

      Was auch noch interessieren kann, der Privatmensch ist nicht verpflichtet den Spirenzen und Dummheiten der EU Folge zu leisten. Jeder darf bei seinem Hobby mit bleihaltigem Lot löten bis Sankt Nimmerlein. Nur die Gewerblichen müssen sich an ROHS und ähnlichen Dünnpfiff kranker EUdioten-Hirne halten. Auch die für manche Geräte als Spannunsnormal unabdingbaren Quecksilber-Zellen kann man sich besorgen solange man will, außerhalb des Machtdunstkreises der Brüsseler Feudalherren werden diese nämlich munter weiter fabriziert und rege verwendet. Merke, am EU´schen (Un)Wesen wird die gesamte Welt sicher nicht genesen.
      Gruß Jogi,
      der im Forum von jedem dahergelaufenen Neuling verspottet, beleidigt und als charakterlos tituliert werden darf.
      Du sagst es Heino, du sagst es.

      Wir sollten uns wieder befreien von dieser Geldverbrennungsmaschine, auch hätte ich noch diverse DeMark-Beträge die noch längst nicht verschimmelt sind , die man gerne wieder reaktiviert sähe. Was haben denn alle zusammen von einer Einheit in Armut und Elend. Für gut befundene Errungenschaftern wie europaweiten Frieden und Völkerverständigung muß man ja nicht gleich mit aufgeben, Vorzüge beibehalten, Nachteile entledigen das wäre die Devise.
      Gruß Jogi,
      der im Forum von jedem dahergelaufenen Neuling verspottet, beleidigt und als charakterlos tituliert werden darf.
      Noch nicht angesprochen wurden Whisker, Kristallnadeln.

      http://de.wikipedia.org/wiki/Whisker_%28Kristallographie%29
      Bei üblichen Bleiloten gibt es da kein Problem. Ernsthaft problematisch kann es jedoch bei den heutigen Loten werden, gerade wegen der Miniaturisierung. Da können in wenigen Jahren Verbindungen zwischen Leiterbahnen entstehen, die man ohne optische Hilfsmittel nicht sieht. Produzenten der Wegwerfelektronik werden sich über diesen Effekt freuen, Produkte sollen ja nicht zu lange halten.
      Ältere Germaniumtransistoren im Metallgehäuse sterben manchmal wegen Whisker. Ich habe schon von unbrauchbaren Transistoren gehört, die nie eingebaut waren, also NOS, die es erwischt hat.

      Andreas, DL2JAS
      Was bedeutet DL2JAS? Amateurfunk, www.dl2jas.com
      dl2jas postete
      Noch nicht angesprochen wurden Whisker, Kristallnadeln.

      Ich habe schon von unbrauchbaren Transistoren gehört, die nie eingebaut waren, also NOS, die es erwischt hat.

      Andreas, DL2JAS


      Interessant !!

      Ich habe mal eine Grundig Endstufe mit AD161/162 repariert, aber leider erfolglos. Eingebaut hatte ich nagelneue Siemens Endtransistoren, die bestimmt schon 40 Jahre im Sortierkasten lagen. Die erneute Messung förderte wieder einen defekten Transistor zutage.

      Damals habe ich den (erneuten) Fehler auf eine Unachtsamkeit beim Löten, beim Zusammenbau oder einen geladenen Kondensator geschoben und mir nix dabei gedacht. Wer weiß, vielleicht wars der Herr Whisker...

      Gruß, Dieter
      Dieter, manchmal kann man solche Transistoren retten.

      Man nehme sich ein Labornetzteil und stelle Spannung und Strombegrenzung relativ niedrig ein. Um die Nadeln wegzubrennen, benötigt man eine geringe Leistung, da sie ja recht dünn sind. Der Tip ist nicht als Allheilmittel zu verstehen, mehr als kaputt geht jedoch nicht.

      Andreas, DL2JAS
      Was bedeutet DL2JAS? Amateurfunk, www.dl2jas.com
      Eingangs fragte Michael nach einem guten Lötzinn.

      Zufällig habe ich bei Pollin entdeckt:
      http://www.pollin.de/shop/dt/MTM4OTUxOTk-/Werkstatt/Loettechnik/Zubehoer/Loetzinn_ERSIN_MULTICORE_304_FLUX_60_40_1_mm_1_kg.html
      Vom Ersin Multicore habe ich noch eine alte Rolle mit 0,7 mm Drahtstärke, was ich gern für feinere Lötungen benutze, lässt sich sehr schön löten.

      Andreas, DL2JAS
      Was bedeutet DL2JAS? Amateurfunk, www.dl2jas.com
      nightbear postete
      Hallo die Runde,

      ich habe früher immer gelesen, dass Zinn gerade dann, wenn es über längere Zeit erhöhten Temperaturen ausgesetzt wird, Schaden nimmt.

      Dabei wurden als Beispiel Zinnteller genannt, die an der Wand oberhalb des Kamins aufgehängt werden und durch die Wärme nach vielen Jahren so geschädigt und spröde sind, dass sie beim Verbiegen unter Abgabe von Geräuschen (Zinnkreischen) zerbrechen.

      DAS war für mich immer die Erklärung, warum die Lötstellen in elektronischen Geräten, wo stellenweise höhere Temperaturen herrschen, nach Jahren völlig zerstört sind.


      Das ist wiederum ein interessanter Diskussionspunkt. Die Schädigung von Zinn durch hohe Temperaturen hat einen anderen Grund als die Umkristallisation. Auch in recht reinem, "Lebensmittel-Zinn" sind noch durch den Guß oder ähnliche Verfahren verbleibende Reste von Fremdstoffen enthalten. Das können Guß-Schlacken oder Reste aus Formen sein, und auch nachträglich aufgebrachte Substanzen, wie z.B. Reinigungsmittel. Diese greifen das Zinn an, es kommt zu einer echten Korrosion , also Oxidation. Dabei entstehen Zinnsalze, die sehr hart sind, und das Gefüge sprengen können.
      Z.B. altern viel benutzte Weinbecher aus Zinn verhältnismäßig schnell, wenn sie nicht gründlich nach Benutzung ausgespült werden. Grund ist vor allem die Oxalsäure im Wein. Wandteller (Schmuckteller) aus Zinn wurden meist aus minderwertigem Zinn hergestellt, schließlich ist Zinn auch nicht ganz billig. Da kommt es zu innerer Korrosion, ähnlich dem Zink-Fraß, bis zur Zerstörung des Teils. Was man beim Zerbrechen dann hört sind aber "normale" Schergeräusche von den kristallinen Zinnsalzen am Zinn.
      Das Zinngeschrei ist etwas anderes. Das entsteht nur bei sehr reinem Beta-Zinn. Wir hatten in der Uni extra für die Demonstration einen kleinen Barren aus Reinzinn (wirklich "rein" - die Chemiker bezeichnen die Qualität als Suprapur), den man beim Biegen wirklich gut kreischen hörte. Schon geringe Legierungsbestandteile (z.B. weniger als 1% Kupfer) verhindern das Zinngeschrei sofort.

      Aber nochmal zurück zu den Lötstellen. Warum altern Lötstellen unter hohen Temperaturen offensichtlich schneller?
      Eine einfache Erklärung dafür gibt es nicht, da kommen mehrere Dinge zusammen. Zuerst mal, was ist eine Lötstelle überhaupt? Es ist mitnichten einfach ein Zusammenbeppen mit einem Metallüberzug, da passiert mehr. Ich gehe jetzt mal davon aus, daß man Kupfer (Platine und Draht) mit Lötzinn verbinden will. Auf die aktivierte (also "saubere" - durch das Flußmittel) Kupferoberfläche bringt man bei ca. 200°C ein Lötzinn. Das flüssige Zinn fleißt darüber, und an der Kupferoberfläche entsteht quasi umgehend eine Legierung. Es löst sich also von der Kupferoberfläche immer eine Anzahl Atome ab und legiert mit dem Zinn. Somit ist der Übergang vom Kupfer in das Zinn auch nach Erstarren des Lotes ein "fließender". Dadurch hält eine Lötstelle auch besser als eine Klebung - es ist sozusagen eine metallische Verbindung. Auch für den Stromfluß ist das natürlich von Vorteil. Das bringt aber u.U. auch Probleme mit sich, hier mal ein paar Fallbeispiele:
      1. Die Lötstelle wird von hohem Strom durchflossen.
      Dabei gehe ich mal nicht davon aus, daß sie gleich richtig heiß wird, der Sromfluß reicht aus, um Veränderungen zu bringen. Hintergrund ist, daß die Metalle in der elektrochemischen Reihe unterschiedlich stehen. Zinn hinter Kupfer. Daß bedeutet, durch den Stromfluß kann es zu einer Reduktion des Kupfer (liegt bereits metallisch vor, da passiert nichts) und einer Oxidation des Zinn kommen kann. Das passiert an der Grenzfläche, also der Lötung und direkt im anschließenden Zinn. Dabei wird die Legierung z.T. aufgebrochen, und die Lötstelle wird instabil. Bei sehr hohem Stromfluß können sogar die gebildeten Zinnsalze regelrecht abgesprengt werden, dann kommt es zu den Auszehrungen der Lötstellen.
      Diese Kontaktkorrosion wird z.B. auch von Klempnern gehasst. Ein Installateur der etwas auf sich hält, wird niemals an eine Kupferleitung folgend ein verzinktes Eisenrohr anbauen. Das würde durch ähnliche Prozesse ungünstigerweise innerhalb weniger Jahre zerfressen.

      2. Die Lötstelle ist besonders hohen Temperaturen ausgesetzt.
      Hier kommt neben der elektrischen Belastung (s.o.) vor allem eine Beschleunigung aller Reaktionsprozesse zum Tragen. So kann verbliebenes Flußmittel oder andere schädliche Einflüsse viel schneller sein Zerstörungswerk vollbringen. Eine Änderung der Zinnstruktur findet aber unterhalb etwa 160 °C nicht statt, und dann wird das Pertinax schon ordentlich dunkel!

      Dazu kommen noch viele weitere chemische Umwelteinflüsse, immerhin ist Zinn kein besonders edles Metall.

      Zuletzt noch eine kleine Anmerkung zu den Whiskern. Das ist sehr richtig schon beschrieben worden. Die Auswirkungen sind unter normalen Bedingungen eigentlich nicht sehr groß, aber der Einsatz der neuen Lote, die wie richtig gesagt wurde, stärker dazu neigen können, wird es irgendwann an den Tag bringen. Übrigens kann man diese Kristallnadeln auch durch Stromfluß begünstigen und provozieren. Eine Beispielstelle sind dafür z.B. die Zeilentrafos in Fernsehern. Es hilft übrigens da auch kein Lacküberzug mit Lötlack. Der verhindert allenfalls, daß bereits gebildete Kristallnadeln sich verteilen.
      Gruß, Gunnar
      Liebe Freunde,

      danke fuer die Beitraege, die ich erst jetzt lesen kann (war in Leipzig auf dem
      Bachfest, mal wieder einmal einige Originale in der originalen Umgebung anhoeren ...
      kann ich sehr empfehlen !).

      Danke Andreas fuer den Tipp. Werde ich mal probieren, hatte ich bisher noch nicht.
      Danke an Gunnar fuer die sehr hilfreichen und ausfuehrlichen Erlaeuterungen. Das mit
      Napoleon und den Zinnknoepfen ist in der Tat irgendwie zu unglaubwuerdig ... vielleicht
      eher so eine Dolchstosslegende "after the fact" ...

      Aber ganz so selten ist das mit der Zinnpest vielleicht auch nicht. Man liest immer
      wieder, dass Sammler von Zinnfiguren damit Probleme haben, letztlich wohl auch,
      weil es von kleinen Stellen ausgeht, aber bei Beruehrung mit anderen Zinnfiguren
      regelrecht "ansteckend" wirkt (vermutlich als Umkristallisationskeim ?).

      Wie dem auch sei, nach der Schilderung nehme ich mal an, dass mein oben beschriebenes
      Geraet ein anderes Zinnproblem gehabt haben muesste -- es sah zwar so aus wie ich es
      aus Abbildungen kenne, aber an manchen Stellen war das Zinn auch regelrecht weiss --
      vielleicht doch einfach ein Legierungsproblem.

      Was Hitze betrifft: Die Verstaerker von Harman sind ein gutes Beispiel dafuer. Die
      Treiber werden heiss, die Loetstellen sind eher sparsam -- und unter der Kombi von
      warm bis heiss und mechanischem Zug wird das Zinn an den Loetstellen regelrecht
      broeckelig -- und faellt aus. Viele von denen, wenn sie frueh genug auf den Tisch kommen,
      kann man also durch blosses Nachloeten an den bekannten Stellen komplett kurieren ...
      dennoch passiert da auch etwas mit der Legierung, denn nur warmmachen reicht nicht.
      Man braucht schon neues Zinn, und am besten macht man das alte auch erst ab.

      Besten Gruss,

      Michael
      Hallo die Runde, insbesondere Gunnar (?) -- ich habe mal wieder eine Frage in Sachen
      Loetzinn. Es ist ja bekannt, dass man viele alte Platinen nachloeten muss, weil sich
      Risse etc. gebildet haben.

      Das geht meist gut, manchmal aber auch nicht -- das Zinn will einfach nicht, auch nicht
      bei Zufuehrung frischen Lotes mit Flussmittel. Dann hilft nur die vorigen Entfernung des
      alten Zinns und neu verloeten (Achim hat das auch schon einige Mal erwaehnt).

      Gibt es dafuer eine plausible Erklaerung ? Ich konnte keinen Zusammenhang zu einer
      moeglichen Schaedigung durch hohe Temperatur ausmachen, und konnte bisher auch
      optisch keine Unterschiede erkennen. Aber manchmal ist das einfach so ...

      Besten Gruss,

      Michael