Messen - aber richtig !!

      Hallo Radiofreunde,

      ich möchte heute einen Beitrag beginnen, der sich mit den häufig fehlinterpretierten Spannungswerten beim Messen in Rundfunkempfängern beschäftigt.

      Der Beitrag wiederholt bzw. vertieft auch gleichzeitig die Spannungsteilergesetze sowie das Gesetz von Herrn Ohm, nach dem berühmten Schweizer Kanton als Eselsbrücke: U=R*I.

      Viele wundern sich, dass die Spannungswerte von den angegebenen relativ stark abweichen (wenn alles in Ordnung ist, immer nach oben...) und geben den Energieversorgern die Schuld. Diese dürfen sich aber nur 5 Prozent aufbürden; rund die eingeführte Spannungserhöhung auf 230 Volt. Andere bauteilbedingte Faktoren sollen hier nicht berücksichtigt werden.

      Fangen wir an: In Schaltbildern stehen oft solche Aussagen...



      Was soll uns, bzw. dem Reparateur das sagen? Warum steht dieser Wert überhaupt im Schaltbild? Wir nehmen doch unser Digitalmultimeter, FET-Multimeter, Röhrenvoltmeter oder was auch immer der Bastler zur Verfügung hat und messen drauf los...

      Aber...

      Was messen wir da eigentlich? Weiß jeder von uns, wie die Strom- und Spannungsverhältnisse im Radio und im Meßgerät zum Zeitpunkt der Messung aussehen?

      Nehmen wir ein Standardmeßgerät ohne Elektronik. Es hat einen Gleichstromwiderstand der Drehspule von 30 Ohm und benötigt für Vollausschlag aufgrund der mechanischen Magnetverhältnisse im Meßwerk 1 mA. Dies sind Werte eines ganz normalen Multimetermeßwerks.

      Wir messen nun damit die Spannung von 1 Volt und zwar für Vollausschlag. Nach Herrn Ohm muß der Kreis für Vollausschlag R=U/I gleich 1000 Ohm betragen. Somit muß der Vorwiderstand zu 970 Ohm bemessen werden, um exakten Vollausschlag bei 1 Volt zu erhalten. Wir erhalten das folgende Ersatzschaltbild:



      Man sagt: "Das Meßgerät hat den Innenwiderstand von 1000 Ohm pro Volt" ! Wollen wir dem Meßgerät einen Meßbereich von 300 Volt Vollausschlag mitgeben, muß also der Vorwiderstand R1 exakt 299970 Ohm betragen, damit wieder der benötigte Strom von 1 mA fließt. Alles klar ??

      Wenn nicht, bitte fragen, bald gehts weiter mit Teil 2.

      Viele Grüße, Dieter
      Hi Dieter, erstmal großes Lob für diesen Beitrag.

      Meine Anmerkung wäre da noch:
      Die Spannungswerte, z.B. Anodenspannungen an dieversen Röhren (z.B. ECH81)
      haben je nachdem welcher Wellenbereich (AM oder FM) eingeschaltet ist, erhebliche Unterschiede.
      Also deshalb immer im Schaltplan nachschauen (das muß drinstehen!) auf welchen Wellenbereich sich die Spannungsangaben beziehen.
      Meist ist es Mittelwelle.

      Gruß Christoph
      Made in Western Germany!
      Hallo Radiofreunde,

      ich möchte heute mit dem zweiten Teil des kleinen Meßexkurses fortfahren. Wir wissen jetzt, was der "Innenwiderstand" eines Spannungsmessers aussagt. Genauso finden wir in Röhrendatenblättern den Innenwiderstand einer Röhre Ri, bei der EL84 sind dies 38 kOhm.

      So, nun kommen wir aber zum ersten Meßfehler, den uns ein analoges Drehspulmeßwerk beschert. Nehmen wir der Einfachheit halber folgende Schaltung:



      Ich glaube, bei diesem symmetrischen Spannungsteiler wird mir bei den Zahlen jeder zustimmen, da brauchen wir kein Ohmsches Gesetz. Dies sind die Spannungsverhältnisse in Ruhe, also ohne Eingriff von außen.

      Nun möchte unser Techniker die Spannung am unteren Widerstand mit seinem alten Analoggerät messen. Wir erinnern uns: Das Meßgerät muß einen Innenwiderstand von 100 kOhm haben, wenn wir auf den 100 V Meßbereich schalten. Das tun wir hier und hängen das Meßgerät parallel zum unteren Widerstand.



      Parallel geschaltete Widerstände ergeben einen Gesamtwiderstand, der immer kleiner ist, als der kleinste Einzelwiderstand, nämlich im Verhältnis ihrer Reziprokwerte. Hier ist dies relativ einfach 1/100 + 1/100 = 1/50, also ist der Gesamtwiderstand im unteren Zweig 50 kOhm.



      Wie sehen jetzt aber die Spannungsverhältnisse aus ? Macht euch mal Gedanken. Ich bin überzeugt, viele brauchen dazu nicht mal Stift und Papier. Aber ich glaube, jetzt wird bereits die Problematik der Messungen ein wenig deutlich. Die Lösung kommt im Folgethread.

      Viele Grüße, Dieter
      So liebe Radiofreunde,

      weiter geht es mit dem kleinen Messexkurs. Natürlich waren die beiden Fragezeichen einfach zu lösen, die Teilspannungen an den Widerständen verhalten sich im gleichen Verhältnis wie die Widerstände selbst, also R1:R2=2 somit ist U1=2xU2 und es ergeben sich die unten eingezeichneten Werte.

      Man kann somit eine totale Verzerrung der ruhenden Spannungsverhältnisse feststellen, nur weil man einen Spannungsmesser der 50er Jahre mit geringem Innenwiderstand verwendet hat. Da es aber bis dato nichts besseres gab, haben die Radiotechniker natürlich alle den gleichen "Mist" gemessen.



      Das Beispiel kommt natürlich nicht besonders nahe an die Verhältnisse in unseren geliebten Röhrenradios, es soll auch nur den Meßfehler verdeutlichen.

      Natürlich müssen wir die Situation noch etwas verfeinern und betrachten einmal das Schaltbild eines Standardröhrenradios mit Wechselstromversorgung und Brückengleichrichtung.

      Diese beiden Auszüge finden wir im Schaltbild eines Röhrengerätes:





      Damit ergibt sich für unser Radio folgendes Ersatzschaltbild:

      Im Anodenzweig teilen sich die Spannungen auf, 240 Volt liegen an der Anode der Endröhre, die restlichen 30 Volt fallen auf Peripheriebauteile. Ferner hat der Ingenieur einen Anodenstrom von 43 mA festgestellt.

      Da das Netzteil am Elko 270 Volt liefert und ein Strom von 68 mA fließt, müssen 25 mA sich auf den Rest unseres Gerätes verzweigen.

      Ich hoffe, die Ersatzschaltung ist verständlich, ansonsten einfach nachfragen; es gibt keine dummen Fragen !!

      Und nun bitte den gedanklichen Klimmzug mitmachen: Dies ist die Momentaufnahme während der Erstellung des Schaltbildes. Der Gesamtwiderstand im unteren Zweig ist bereits die Parallelschaltung des Wirkwiderstandes R2 mit dem Meßgerät. Denn während der Techniker seine abgelesenen Werte in das Schaltbild schreibt, liegt ja das Meßgerät an !!
      Wir müssen jetzt quasi die Herleitung unseres Meßfehlers rückwärts drehen, um zur Originalspannung im Ruhezustand OHNE angelegtes Meßgerät zu gelangen. Alles klar ??



      Puuuuh, ich hoffe, das war nicht zuviel. Im nächsten Teil sehen wir, was dabei rauskommt. Wer möchte, kann natürlich schon vorpreschen und mir die Lösung mailen.

      Gruß, Dieter
      Genau Christoph,

      an der Stelle sind wir gerade. Das alles mit einbezogen, generiert obiges Ersatzschaltbild. Natürlich in jedem Radio etwas anders.

      @ Alle: Andreas hat mich gerade aufmerksam gemacht, dass der Ri des Meßgerätes fehlt. Sorry, vergessen. Aber wir nehmen unser Standardinstrument aus dem thread mit 1000 Ohm/Volt.

      Gruß, Dieter

      Edit: Nachtrag
      Nun kommen wir nach längerer Pause zur Weiterführung des Themas, bzw. erst einmal zur Lösung der Problematik im letzten Beitrag.

      Während wir bisher immer aus 2 parallel geschalteten Widerständen den Gesamtwidertsand ausrechnen mußten, geht es nun umgekehrt. Wir kennen den Gesamtwiderstand und suchen einen Teilwiderstand, nämlich den
      Widerstand R2 im unteren Zweig, wenn das Meßgerät abgeklemmt wird.

      Da ich kein geeignetes Programm dafür habe, hier die die Herleitung handschriftlich:



      Der Widerstand ändert sich also von 5,71 kOhm auf 5,85 kOhm, wenn das Meßgerät abgenommen wird. Unterstellen wir, dass weiterhin der Konstantstrom vom 43 mA fließt, ergibt sich also ein unterer Spannungsabfall von U=5,85 kOhm x 0,043 A = 251,5 V. Diese Spannung liegt also tatsächlich an.

      Messen wir den unteren Zweig nun mit einem modernen Spannungsmesser mit 10 MOhm Eingangswiderstand oder noch höher, dann glaube ich, erklärt sich von selbst, dass kein Spannungsabfall mehr sichtbar ist und das Gerät die "echten" 251,5 Volt anzeigen wird.

      Wer sich die Mühe macht und das Ganze rechnerisch ermittelt, wird auf einen Wert von 251,4 Volt kommen, also eine Spannungsdifferenz von gerade mal 100 Millivolt, was bereits innerhalb der Toleranzgrenzen eines jeden Meßgerätes liegt.

      Diese Spannungsdifferenz mit dem alten Meßgerät - in unserem Fall 11,5 Volt - ist natürlich in jedem Gerät und bei jeder Spannungsmessung anders und hängt nach Herrn Ohm logischerweise von den Spannungsverhältnissen und dem Stromfluß an der jeweiligen Meßstelle ab.

      Addiert man weiterhin die von unseren Energieversorgern beaufschlagten 5 % Mehrspannung aus dem Netz, so kommt man im Einzelfall häufig zu einer angezeigten "Überspannung" von ca. 20 Volt. Nach meinen Erfahrungen liegen die Werte im Bereich zwischen 5 und 25 Volt über den im Schaltbild angegebenen Werten.

      Die Interpretation und Auswirkungen der zu hohen Spannung überlasse ich jedem selbst, da es hier geteilte Meinungen gibt.

      Ich hoffe, dieser kleine Exkurs in die Meßtechnik hat ein wenig Spaß und Verständnis für die meßtechnischen Verhältnisse in so einer Röhrenkiste erzeugt. Wer Fragen dazu hat, kann hier gerne einen Beitrag anstoßen oder mir eine PM schreiben.

      Viele Grüße, Dieter